Alexander Stiehle im dynamischen Fahrsimulator

Kein Computerspiel: Dieser Fahrsimulator lässt realitätsnahe Tests zu. Daher ist er für die Fahrzeugentwicklung von enormen Nutzen.

Eine Minute und 54 Sekunden. Das geht schneller denke ich mir. Ich drücke das Gaspedal durch und der Motor heult auf. Mit 220 Sachen schieße ich über die Start-Ziel-Geraden der niederländischen Rennstrecke Zandvoort. Kurz vor der scharfen Schikane „Tarzanbocht“ bremse ich hart und lenke rechts ein. Vom hohen Lenkmoment schmerzen mir langsam die Arme, aber ich gebe nicht nach, sondern beiße die Zähne zusammen, weil…

Die Rennstrecke wird digital

Plötzlich geht das Licht an. Die Rennstrecke vor mir verblasst, sodass ich sie kaum mehr sehe und so langsam kehre ich in die Wirklichkeit zurück. Ich bin nicht in Zandvoort. Ich sitze in keinem echten Auto. Nein, ich befinde mich in einem kargen Raum und sitze im dynamischen Fahrsimulator auf dem Gelände der technischen Entwicklung bei Audi. Und wie aus heiterem Himmel steht Richard Uhlmann, Projektleiter und Entwicklungsingenieur in der Abteilung „Eigenschaften Fahrwerkkonzepte“ neben meiner Fahrzeugtür. „Anstrengend, oder? Dir rinnt ganz schön der Schweiß runter“, sagt er und lacht. Ich steige aus und wische mir mit dem Handrücken die Schweißtropfen von den Schläfen.

Stimmt, es ist tatsächlich anstrengend – und das, obwohl es nicht real ist. Der Simulator versucht die Realität abzubilden und das macht er sehr gut. Er besteht im Wesentlichen aus einer Fahrerkabine, die auf einem Hexapod (Hexa griech.: Sechs, pod griech.: Fuß) befestigt ist und einer in Front stehenden vier Meter hohen 180 Grad-Leinwand.

Die sechs elektrisch angetriebenen Zylinder des Hexapoden ermöglichen eine frei und genau definierte Bewegung des Simulators im Raum – bis zu 60 Zentimeter in jede Richtung. Der Lenkwiderstand wird durch einen Lenkaktuator simuliert, der unterhalb des Lenkrades angebracht ist. Das Bild projizieren sieben LED-Beamer auf die Leinwand– unter anderem eine Autobahn und eine Rennstrecke.

Die lange Entwicklungszeit zahlt sich aus

„Je nach Lenkeingabe bewegt sich die Fahrerkabine auf dem Hexapod. Das Bild passt sich dieser Bewegung automatisch an. So entsteht der Eindruck, als ob man tatsächlich in einem Auto unterwegs ist“, erklärt Uhlmann während wir uns den Simulator gemeinsam ansehen. „Damit es einem im Simulator nicht übel wird, ist es notwendig, dass man das Fahrverhalten möglichst exakt abbildet. Dafür haben wir in Zusammenarbeit mit einem Kooperationsdoktoranden einen eigenen Algorithmus entwickelt.“ Der Raum ist in schwarzer Farbe gestrichen und bei Betrieb ist das Licht aus, damit ein möglichst guter Kontrast für die Projektion auf der Leinwand gegeben ist.

Die Entwicklung des Simulators begann im Jahr 2012 und seit kurzem ist er im Einsatz. Die Audi-Ingenieure wollen schon ganz am Anfang des Entwicklungsprozesses das Fahrverhalten von Audi-Modellen bewerten. Dafür können sie den Simulator mit allen dafür relevanten Fahrzeugdaten, wie Gewicht, Federung oder Radstand füttern. „Der Fahrsimulator ist Teil einer umfangreichen virtuellen Entwicklungskette, die wir bei der Auslegung künftiger Fahrwerke bereits erfolgreich einsetzen“, erklärt Andreas Wagner, Leiter der Abteilung.

Physische Grenzen bleiben: Die perfekte Simulation ist nahe am Original

„Trotzdem müssen wir für die Beurteilung von Fahrdynamik und Komfort oftmals auf reale Fahrzeuge, in der Regel teure Prototypen, zurückgreifen – und da kommt der Simulator ins Spiel: Mit ihm möchten wir künftig Fahreigenschaften sehr früh erlebbar machen, um wichtige Richtungsentscheidungen in den Projekten zu treffen. Das spart Zeit, schont Ressourcen und ermöglicht uns, frühzeitig auf das Fahrzeugkonzept Einfluss zu nehmen.“ Mit Hilfe des Simulators können die Ingenieure zum Beispiel feststellen, wie sich das Wankverhalten des Prototypen subjektiv anfühlt. Dementsprechend kann das Fahrzeugkonzept angepasst werden.

Alexander Stiehle im dynamischen Fahrsimulator

Verschiedene Szenarien können simuliert werden. Neben der Rennstrecke ist auch eine Autobahnfahrt möglich.

So real der Simulator Situationen erscheinen lässt, hat er aber auch seine Grenzen. Manche Bewegungszustände kann er nur zum Teil oder gar nicht abbilden. „Ein Auto hat bei einer Geschwidnigkeit von etwa 60 km/h einen Bremsweg von zirka 36 Metern. Wenn sich der Bremsvorgang genauso anfühlen soll wie in der Realität, müsste man die Fahrkabine während der Bremsphase auch 36 Meter nach hinten bewegen“, sagt Uhlmann.

Rekordzeit im Stillstand: challenge accepted

Trotzdem kann man im Simulator die Kontrolle über das Auto verlieren. Fährt man zu schnell in eine Kurve, dann bricht das Heck aus, das Bild dreht sich und der Simulator schüttelt einen ordentlich durch. Das sorgt trotz eingeschränkter Beschleunigungskräfte für ein sehr reales Fahrerlebnis. Auf die Frage, was die Simulator-Bestzeit für Zandvoort ist, antwortet Uhlmann: „Ein Kollege ist die Runde in einer Minute und 28 Sekunden gefahren.“ Also steige ich wieder ein. Challenge accepted.

Alexander Stihle im dynamischen Fahrsimulator

Der Rekord auf der Rennstrecke liegt bei 1:28.

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Quelle: Audi Blog

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