Neben neuen Fertigungsmethoden spielen innovative Werkstoffe in jeder Hinsicht eine zunehmend wichtige Rolle im Automobilbau. Es geht um das Zusammenspiel von hochfestem Stahl, Tiefziehblech, Leichtmetall und Kunststoffen, die nicht nur Temperaturschwankungen trotzen, sondern auch dauerhaft halten, im Falle eines Crashs Lasten aufnehmen und sich bei einem Austausch sortenrein trennen und recyceln lassen. Außerdem müssen diese Werkstoffe durch ihr geringeres Gewicht ihren Beitrag zu einem effizienteren Gesamtfahrzeug leisten.

Um diese Anforderungen zu erfüllen, genügt es nicht, vorhandene Werkstoffe weiterzuentwickeln. Man muss „out of the box“ denken und in andere Bereiche blicken. Bei Porsche hat man sich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit Glastechnologien auseinandergesetzt. Schwere Glasscheiben leichter zu machen, ist ein uralter Wunsch. Im Rennsport ersetzte man sie in der Vergangenheit durch Kunststoffe wie etwa Makrolon. Doch für einen Einsatz in der Serienfertigung von Straßenfahrzeugen ist dieser Werkstoff wegen seiner Kratzempfindlichkeit und den eher begrenzten optischen Eigenschaften nicht geeignet. Deshalb haben sich die Entwickler mit dem Thema Dünnschichtglas beschäftigt.


Die gebogene hochfeste Seitenscheibe des 911 GT3 RS



Unter dem Namen „Gorilla-Glas“ ist dieser Werkstoff aus der Display-Fertigung für Monitore bekannt. Tablet-PCs, Flachbildfernseher und Handys werden seit Jahren damit ausgestattet. Die Vorteile: beste optische Eigenschaften, geringes Gewicht und sehr hohe Stabilität. Porsche setzte eine diesem Gorilla-Glas vergleichbare Glasqualität erstmals in der Verbundglas-Heckscheibe des Porsche 918 Spyder mit Weissach-Paket ein. Diese etwa 20 mal 20 Zentimeter große plane Scheibe war gewissermaßen eine Fingerübung. Heute ist man weiter.

Klassischer Werkstoff – neu definiert

Die Technik zur Verarbeitung von Dünnschichtglas hat sich in den vergangenen drei Jahren rasant entwickelt. Erstmals war es den Ingenieuren gelungen, auch gebogene Scheiben aus Dünnschichtglas zu realisieren. Ihren großen Auftritt erlebte diese Technologie in einem Smartphone von Samsung. Hinter dem, was wir beim Handy als Gorilla-Glas kennen, steckt ein eigentlich uralter Werkstoff: Glas, bestehend aus recyceltem Glasbruch, aus Sand und – im Falle von Autoglas – aus einer dünnen Sicherheitsfolie zwischen zwei Schichten Dünnglas.


Porsche ist der erste Automobilhersteller, der sich Gorilla-Glas zunutze macht



Erst ein chemisches Verfahren macht aus Glas ein Dünnschichtglas. Glas erscheint uns glatt und eben, jedoch ist die Oberflache einer Glasscheibe unter dem Elektronenmikroskop so zerklüftet wie ein Canyon. In den Vertiefungen liegen Molekule. Diese Molekule werden chemisch ausgelost und durch größere ersetzt, die sich in die Spalte hineinpressen und so an der Oberflache für eine höhere Dichte des Materials sorgen. Das Glas wird dadurch „vorgespannt“ und somit hochstabil. Versuche zeigen, dass ein Dünnschichtglas von 2,1 Millimetern Starke an der Außenseite einer Windschutzscheibe und 0,55 Millimetern Starke innen, kombiniert mit einer PVB-Sicherheitsfolie gegenüber einer herkömmlichen Verbundglasscheibe um mindestens 200 Prozent stabiler ist. Eine solche Scheibe widersteht Hagel und Steinschlag also wesentlich besser, ist kratzunempfindlicher und bleibt bei einem Unfall langer stabil. Hinzu kommt, dass Dünnschichtglas in Masen flexibel ist. Torsionen der Karosserie können so besser aufgenommen werden.

Nicht nur leichter, sondern auch leiser

Der Gewichtsvorteil ist enorm. Die Heckscheibe des aktuellen Porsche 911 wiegt zum Beispiel als herkömmliche Einschicht-Sicherheitsscheibe 5,8 Kilogramm. Dieselbe Scheibe in Dünnschicht-Ausführung hingegen hat ein Gewicht von lediglich 3,7 Kilogramm. Das sind rund 40 Prozent Gewichtseinsparung an nur einem einzigen Bauteil. Porsche baut aktuell solche Scheiben am Porsche 911 GT3 RS ein. Heckscheiben und hintere Seitenscheiben bestehen aus diesem Material, das noch weitere Vorteile birgt. So ist der UV-Schutz bei dem neuen Verbundglas verbessert. Hier liegt das Geheimnis allerdings in der Folie, die jetzt 99 Prozent aller UV-Strahlung filtert. Konventionelle Glasscheiben als Einscheibensicherheitsglas ohne Folie erzielen einen Filterungsgrad von nur etwa 70 Prozent. Außerdem sind durch die hohe optische Qualität des Dünnschichtglases insbesondere bei flachen Einbauwinkeln sehr viel weniger Verzerrungen wahrnehmbar als bei dickeren Scheiben, wie man sie bisher kennt. Und ganz nebenbei zeichnet sich ein solches Glas – einfach, weil es dünner ist – durch ein deutlich besseres Abtauverhalten bei Frost aus. Mit Blick auf die Elektromobilität ergibt sich der Vorteil einer deutlich verbesserten Dammwirkung hinsichtlich höherfrequenter Schallwellen.


Der neue Porsche 911 GT3 RS wurde hergestellt mit neuen Methoden und Materialien



Nachteile hat das Glas nur wenige. Die Produktion ist derzeit noch teurer, was darauf zurückzuführen ist, dass die Automobilindustrie für die Hersteller solcher Glasqualitäten nur ein kleiner Kunde ist. Man fertigt vornehmlich Displays für die Unterhaltungsindustrie. Auch die höhere Flexibilität des Dünnschichtglases verhindert derzeit noch den Einsatz als Versenkscheibe in Türen. Fahrtwind bei höheren Geschwindigkeiten wurde das Glas nach außen biegen und so ein Schließen erschweren. Mittelfristig wird hier ein Hybrid-Aufbau anvisiert, also ein Verbundglas, in dem nur auf der Innenseite ein chemisch vorgespanntes Dünnglas eingesetzt wird.

Mehr Glas im Innenraum?

Derzeit arbeitet man bei Porsche noch an einer verbesserten Infrarot-Reflexion. Diese liegt auf dem Niveau aller bekannten Glasarten, doch mochte man die Funktionalität hier erweitern, um eine höhere Wärmeschutzwirkung zu erreichen. Ferner konnte Dünnschichtglas die Oberflachen im Innenraum revolutionieren. Ganz neue Bedienkonzepte durch berührempfindliche, geschwungene Displays bieten dem Fahrer die Möglichkeit, Bedienelemente frei zu programmieren und an seine Bedürfnisse anzupassen. Eine mögliche Vision: Der Fahrer eines Porsche hinterlegt seine individuellen Wünsche zur Konfiguration seines Innenraums auf „My Porsche“ und findet in jedem Porsche, den er fahrt, seine ganz persönliche Bedienumgebung vor.

Perspektivisch wird Dünnschichtglas in verschiedenen Ausprägungen immer häufiger die bislang bekannten Glasqualitäten ablösen. Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Neben der höheren Widerstandsfähigkeit bei geringerem Gewicht tragt vor allem die wesentlich höhere Schallschutzwirkung dazu bei, dass sich mit Blick auf die Elektromobilität das Dünnschichtglas im Automobilbau durchsetzen wird.



Info

Der Text erschien zuerst im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 01/2018

Text: Thorsten Elbrigmann // Fotos: Porsche AG, Rafael Krotz




Verbrauchsangaben

911 GT3 RS: Kraftstoffverbrauch kombiniert 12,8 l/100 km; CO2-Emission 291 g/km

911 GT2 RS: Kraftstoffverbrauch kombiniert 11,8 l/100 km; CO2-Emission 269 g/km



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Quelle: Porsche Newsroom

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