Die mehr als zehntausend Kilometer auf dem Meer haben den Boxermotor zusehends in Mitleidenschaft gezogen. Salz ist durch die Lüftungslamellen des Motordeckels gekrochen und hat sich auf die einsehbaren Teile gelegt. Eine erste Oxidation blüht auf. Später wird noch der Regler der Lichtmaschine ausfallen. Doch Matt Hummel wird das nicht von seinem Ziel abbringen. Der US-Amerikaner hat sich eine Roadmap ausgedacht, an deren Dramaturgie er strikt festhalten will. Den authentisch gehaltenen Porsche 356 SC hat er in San Francisco verschiffen lassen, um ihn zwei Wochen später im Hafen des französischen Le Havre in Empfang zu nehmen. Schließlich soll es über Le Mans nach Zuffenhausen gehen. Der Ort, der für ihn alles ist und alles bedeutet: die Geburtsstätte seiner 356-Passion.

Der 42-Jährige aus dem kalifornischen Sacramento hat mit seiner unprätentiösen Art, Porsche-Fahrzeuge so zu bewegen, wie er sie in Scheunen oder verwucherten Gärten vorfindet, viele Fans und Gleichgesinnte um sich geschart. Ob schlammige Pisten oder staubige Hügellandschaften: Hummel mutet seinen 356-Modellen fast jedes Terrain zu und die Social-Media-Szene feiert ihn dafür. „Ich möchte die Menschen inspirieren mit ihrem Porsche auf Reisen zu gehen. Die optische Perfektion steht für mich nicht im Vordergrund, es ist mehr das Fahrerlebnis selbst. Man ist nicht automatisch cool, nur weil man einen Porsche besitzt. Es kommt darauf an, was Du mit dem Porsche erlebst. So wie ich mit dem SC hier…“, philosophiert der Enthusiast.




Den 356 SC aus dem Jahr 1964 hat der US-Amerikaner im Kundenauftrag auf den europäischen Kontinent gebracht, um ihn nach seiner Expedition weiter zu seinem neuen Besitzer nach Japan zu verschiffen. Hummels weitaus bekannteres Exponat, ein graues 356 A Coupé aus dem Baujahr 1956 und mit dem kernigen Nummernschild „DON 176“, hat er in den USA zurückgelassen. „Mit Don diese Reise anzutreten, hätte sicher mein Zeit- und Finanzbudget gesprengt. Er ist zuhause einfach besser aufgehoben. Vielleicht komme ich im nächsten Jahr mit ihm nach Deutschland“, zwinkert Hummel. „Diesen silbernen SC hier habe ich für einen japanischen Kunden im US-Bundesstaat Tennessee gefunden.“ Er habe Mike Wolfe gehört, dem Hauptdarsteller der berühmten Show „American Pickers“. „Vorher besaß ihn ein Musikproduzent aus Graceland bei Memphis. Jazzlegende Quincy Jones saß damals regelmäßig auf dem Beifahrersitz, ist das nicht cool?“, freut sich Matt.

Hummel steuerte das Sportwagen-Coupé nach seiner Abholung in Le Havre erst einmal nach Paris. Sein dort lebender Freund Rémi Dargegen lud den Patina-Freak, samt Porsche, zum Le-Mans-Classic-Venture „Original Flat4 Drivers Club“ ein, als er von dessen Reiseplänen erfuhr. Unter den Teilnehmern in Le Mans, unweit des berühmten Dunlop-Bogens, finden sich neben seltener Volkswagen-Käfer und Bullis auch diverse Porsche 356. Sogar ein sogenanntes Vor-A-Modell aus dem Jahr 1952 parkt auf dem Grün. Ein Porsche-Modell 904 krönt später das Erlebnis der kleinen Gruppe am Circuit des 24 Heures.




Zu frischen Muscheln und selbstgebranntem Calvados der überaus herzlichen Mitglieder gesellt sich bald das monotone Dröhnen der Le-Mans-Rennwagen. „Diese Stimmung hier ist einzigartig! Es ist mein erstes Mal in Le Mans. Aber sicher nicht das letzte“, schlussfolgert der Amerikaner. Als Hummel plötzlich Wind vom Porsche Classic Race Le Mans bekommt, gibt es für ihn kein Halten mehr. Anlässlich Porsches 70. Jubiläum gehen bei dem Rennen ausschließlich historische Zuffenhausen-Modelle an den Start: 81 insgesamt. Neben vielen luftgekühlten 911-Modellen, finden sich Athleten mit den Ziffern 910, 550, 908 und 904 in den Startreihen wieder. Sogar ein 901 mischt sich unter die Ikonen. An der Spitze steht zu Matt Hummels Überraschung ein Bekannter aus den USA: Porsche-Sammler und Rennfahrer Cameron Healy in einem 911 RS 3.0 aus dem Jahr 1974. Später wird noch der 356 Roadster Nr. 1, vor Supersportwagen wie 917 oder 908, eine Ehrenrunde auf dem Circuit fahren und so Porsches enge Verbundenheit zu dem 24-Stunden-Rennen demonstrieren.

Matt Hummel jedoch fällt es nicht schwer, sich schon vor dem finalen Run von den Le Mans Classics zu verabschieden. Er will nach Deutschland, über Freiburg hoch nach Stuttgart.

In Freiburg zeigen wir Matt die legendäre Bergrennstrecke, auf der Porsche 1957 mit dem 718 RSK erfolgreich war: die Schauinslandstraße. Hummel kurbelt seinen 356 erstaunlich flink den Pass hinauf, der höher motorisierte Porsche Cayenne S hält nur Schritt dank des Sport Plus Modus. Oben angekommen genießt Hummel den freien Blick auf die französischen Vogesen – und die erste Schwarzwälder Kirschtorte seines Lebens. Im ansässigen Hotel „Die Halde“ setzen wir uns an den denkmalgeschützten Tisch der Bauernstube. Sicher haben sich in ihm auch einige Rennfahrer verewigt und ihren Namen eingeritzt. Einen Edgar Barth suchen wir jedoch vergebens. Hummel streicht ein paar Mal mit seinen Händen über das knapp 100 Jahre alte Eichenholz und schwärmt: „Ich liebe Deutschland schon jetzt. Die Landschaft hier oben über Freiburg ist Wahnsinn. Dann dieser historische Teil des Hotels. Mein kleiner wendiger Sportwagen auf dieser besonderen Bergrennstrecke…“.




Am nächsten Tag finden wir uns in Stuttgart wieder und bevor das Porsche Museum extra für Matt die Archivtüren öffnet, meldet sich noch der Porsche Betriebssportverein FLB – die Freunde luftgekühlter Boxermotoren. Hier wird Porsche-Enthusiasmus gelebt und weitergegeben. Die Vorsitzenden Oliver Berg und Bernd Stadler haben eine interne Mail verfasst und angekündigt, dass ein etwas anderer Porsche-Besitzer in der Gegend sein wird. Sie versahen die Mail noch mit einem Link des 9:11 Magazins, dem Video-Magazin von Porsche. Matt Hummels Filmbeitrag darin hat Instanzen wie Designer Anthony Hatter und Grant Larson genauso geködert wie Herbert Linge. Der 90-Jährige ist das Ehrenmitglied des Clubs, was nicht heißen soll, dass er weniger aktiv ist. Im Gegenteil.

Stunden später blicken wir in die glänzenden Augen von Matt, der an der gläsernen Fassade des Porsche Museums hochblickt. Frank Jung, Leiter des Historischen Archivs, weckt den Amerikaner aus seinem wahr gewordenen Traum und zieht ihn in das Innere des Museums.




Die ideale Raumtemperatur des Archivs von 18 Grad Celsius sorgt für einen Cooldown des Amerikaners. Frank Jung zeigt ihm alte Rennsportplakate, historische Dokumente, persönliche Aufschriebe und Fahrzeugpapiere längst verschollen geglaubter Sportwagen. Dann öffnet er einen Regalschrank voller Karteikarten. „Das ist unser Kardex-Verzeichnis. Hier finden sich die Daten aller jemals ausgelieferten Porsche“, so Jung. 

„Zuhause in Amerika habe ich noch einen 356 aus dem Konstruktionsjahr 1952 in Radiumgrün. Seine Nummer ist 15004. Haben Sie seine Kardex-Karte?“, fragt Hummel. „Selbstverständlich“, erwidert Jung. „Einen Moment, hier haben wir sie.“ Hummel ist ergriffen und findet nur noch drei Worte für dieses Erlebnis, das er mit nach Amerika nehmen wird: „Thank you, Porsche.“




Info

Text: Bastian Fuhrmann // Fotos: Alexander Babic



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Quelle: Porsche Newsroom

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